Ausgabe 3/2023, September

WIdO-Themen

Pflege-Report 2023: Neuer Qualitätsatlas Pflege

Zusammen mit dem Pflege-Report 2023 mit dem Schwerpunkt „Versorgungsqualität von Langzeitgepflegten“ stellt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) den „Qualitätsatlas Pflege“, ein neues Online-Portal, vor.

Der „Qualitätsatlas Pflege“ berechnet und visualisiert als erster Online-Atlas in Deutschland auf Basis der Routinedaten aller AOK-Kranken- und -Pflegekassen Informationen zur Versorgungsqualität bei Pflegeheimbewohnenden auf Kreis-, Länder- und Bundesebene, zunächst für die Jahre 2017 bis 2021. Regionale Versorgungsunterschiede lassen sich damit ebenso betrachten wie Entwicklungen im Zeitverlauf. Das Angebot richtet sich sowohl an gesundheitspolitisch Verantwortliche vor Ort als auch an Leistungserbringende, Interessenverbände und Selbsthilfeorganisationen, Wissenschaft, Fachgesellschaften und die Öffentlichkeit. Kern des „Qualitätsatlas Pflege“ bilden die „QCare-Qualitätsindikatoren für die Pflege“, die relevante und grundsätzlich beeinflussbare Aspekte an derzeit drei Schnittstellen der Versorgung abbilden: Prophylaxe und Prävention, Arzneimittelversorgung und Krankenhausaufenthalte. Der aktuelle Pflege-Report 2023 stellt für drei QCare-Indikatoren erste Ergebnisse auf Kreisebene dar und beschreibt zeitliche Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern.

Der „Qualitätsatlas Pflege“ zeigt: Die Versorgungsqualität variiert regional deutlich. Je nach Wohnort besteht ein unterschiedlich hohes Risiko für potenziell kritische Versorgungsereignisse. Der Qualitätsatlas schafft regional differenziert Transparenz und macht potenziellen Optimierungbedarf sichtbar. Das Ziel ist Chancengleichheit hinsichtlich einer qualitativ hochwertigen Versorgung, einer hohen Lebensqualität sowie einer würdevollen letzten Lebensphase.

Versorgungs-Report Leitlinien: Evidenz für die Praxis

Während die Qualität medizinischer Leitlinien zunimmt, gelingt die Umsetzung der evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen im Versorgungsalltag nur in Teilen oder mit Verzögerung. Der aktuelle Versorgungs-Report beschreibt Maßnahmen zur Förderung der Leitlinienadhärenz.

Der aktuelle Versorgungs-Report enthält 20 Beiträge zur Formulierung, Implementierung und Evaluation von Leitlinien. Insgesamt zeigen die im Report veröffentlichten Studien und Fallbeispiele ein gemischtes Bild der Leitlinienanwendung. 

Das Restless Legs Syndrom (RLS) zum Beispiel ist eine häufige neurologische Erkrankung, die die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. Eine Analyse der Arzneiverordnungsdaten ergab, dass bei RLS die riskante Dauertherapie mit dem Wirkstoff Levodopa weit verbreitet ist. Levodopa lindert zwar kurzfristig die Symptome, bei dauerhafter Verordnung droht aber eine medikamenteninduzierte Verschlechterung. Es soll daher der aktuellen RLS-Leitlinie zufolge nur niedrig dosiert und vorübergehend angewendet werden. Von den rund 335.000 untersuchten, an RLS-erkrankten AOK-Versicherten wurde dennoch mehr als einem Viertel kontinuierlich Levodopa verordnet, oft über mehr als zwei Jahre. An jeder fünften Dauerverordnung waren mehrere Verordnende beteiligt. Das deutet auf ein Ärzte-Hopping hin, bei dem sich Betroffene ein entsprechendes Medikament von verschiedenen Ärzten verschreiben lassen. Die Levodopa-Dosis war umso höher, je länger der Wirkstoff verordnet wurde und je mehr Verordnende beteiligt waren. Dies deutet auf eine Symptomverschlechterung hin.

Das Register der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften enthielt 2022 bereits über 850 Leitlinien. Werden in den Leitlinien Qualitätsindikatoren formuliert, lässt sich die Umsetzung der  Leitlinienempfehlungen in ein Qualitätsmanagement integrieren. Wie das gehen kann, zeigen Behandelnde in 51 regionalen Arztnetzen und die AOK mit dem Indikatorensystem für die ambulante Versorgung QISA.

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Analysen – Schwerpunkt: Europäischer Gesundheitsdatenraum

Risiken und Chancen des European Health Data Space

Nina Haffer, Caroline Stellmach und Sylvia Thun

Die Einführung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) zielt darauf ab, den Zugang der EU-Bürger zu ihren digitalen Gesundheitsdaten zu gewäahrleisten und einen Binnenmarkt für Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen aufzubauen. Der EHDS umfasst auch die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und andere Zwecke. Um eine ganzheitliche Dateninfrastruktur zu erreichen, sollen Gesundheitsdaten fachübergreifend verarbeitet und internationale Standards verwendet werden. Offene Fragen und Herausforderungen beziehen sich auf die Einwilligung der Patienten zur Datenweitergabe, den Schutz sensibler Gesundheitsdaten, Anonymisierung und Pseudonymisierung sowie die Unterschiede in den nationalen Digitalisierungsprozessen innerhalb der EU. Beispiele aus Dänemark und Finnland zeigen erfolgreiche Ansätze für die Nutzung und den Austausch von Gesundheitsdaten.

Datenzugang als Basis evidenzbasierter Versorgung

Thomas Bierbaum, Peter Falkai, Martin Härter, Wolfgang Hoffmann, Peter Ihle, Monika Klinkhammer-Schalke, Stefanie March und Jochen Schmitt

Ein zuverlässiger und zeitnaher Zugang zu Gesundheitsdaten ist essenziell für die Versorgungsforschung und stellt eine zentrale Basis einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung dar. Der Beitrag beschreibt einerseits die Bestrebungen des European Health Data Space für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und die Sekundarnutzung von Daten für Forschung und Innovation. Andererseits werden Erwartungen aus Sicht der Versorgungsforschung an zwei Gesetzesvorhaben formuliert. Es wird beschrieben, was die Anschlussfähigkeit an den Europäischen Gesundheitsdatenraum für diese Vorhaben

Der EHDS aus Patientenperspektive

Daniel Leisegang

Der Europäische Gesundheitsdatenraum soll einen umfassenden Austausch und eine umfangreiche Nutzung von Gesundheitsdaten innerhalb der Europäischen Union ermöglichen. Davon sollen nicht nur Ärzte und Forscher profitieren, sondern auch Patienten. Für Letztere ist Gesundheitsversorgung über  Ländergrenzen hinweg immer noch kompliziert, wie ein fiktives Beispiel zeigt. Um die Ziele der Europäischen Kommission wirklich zu erreichen, sind noch einige Hürden zu nehmen – insbesondere mit Blick auf die Interoperabilität, den Datenschutz und die Datensicherheit. bedeutet. Transparente gesetzliche Regelungen sind erforderlich, die die informationelle Selbstbestimmung der Patienten achten, eine angemessene Abwägung von Datenschutz und Forschungsbedarfen herstellen und alle gesundheitsbezogenen Datenquellen angemessen für die Forschung nutzbar machen.