Versorgungs-Report 2015/2016

Im Rahmen des Schwerpunktthemas widmet sich der Versorgungs-Report 2015/2016 der „Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, der eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Ärzte, Epidemiologen, Versorgungsforscher und Präventionsexperten beleuchten den Gesundheitsstatus der Heranwachsenden und analysieren deren gesundheitliche Versorgung sowie den Stand von Prävention und Gesundheitsförderung. Im Fokus stehen hierbei: 

  • gesundheitliche Trends bei Kindern und Jugendlichen
  • Entwicklungen bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln
  • hyperkinetische Störungen
  • Mandel- und Blinddarmoperationen
  • Einsatz bildgebender Verfahren
  • evidenzbasierte Präventionsstrategien und regionale Entwicklungsförderung

Teil I Schwerpunktthema: Kinder und Jugendliche

Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Zentrale Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS)

Petra Rattay, Kristin Manz und Hannelore Neuhauser

Der Beitrag gibt einen Überblick über die zentralen Ergebnisse der KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Aufbauend auf den Daten der Basiserhebung aus den Jahren 2003 bis 2006 und der ersten Folgeerhebung KiGGS Welle 1 aus den Jahren 2009 bis 2012 enthält er Aussagen zur körperlichen und psychischen Gesundheit (Infektionskrankheiten, chronische Krankheiten, Allergien, Übergewicht, Adipositas, Unfälle, ADHS, emotionale und Verhaltensprobleme), zum Gesundheitsverhalten (Ernährung, körperliche Aktivität, Tabak- und Alkoholkonsum) sowie zur Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (Arztbesuche, U-Untersuchungen, Impfungen). Ferner wird die Bedeutung sozialer Determinanten (Familienform, Sozial- und Migrationsstatus der Familie) für die Gesundheit im Kindes- und Jugendalter thematisiert. Für Themengebiete, für die Daten aus zwei Erhebungswellen vorliegen, werden darüber hinaus Trends berichtet. Zu den positiven Entwicklungen zählt unter anderem, dass die Raucherquote bei den 11- bis 17-Jährigen in den letzten Jahren stark rückläufig ist und die U-Untersuchungen zur Früherkennung von Erkrankungen häufiger in Anspruch genommen wurden. Leicht zugenommen hat dagegen die Häufigkeit von Asthma bronchiale und Heuschnupfen.

Gesundheitliche Trends bei Kindern und Jugendlichen: Behandlung im Krankenhaus

Jutta Spindler

Für 2,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre (15,7 Prozent) war im Jahr 2013 ein Krankenhausaufenthalt erforderlich. Im Schnitt dauerte ihre vollstationäre Behandlung fünf Tage. Der Beitrag basiert auf Diagnosedaten der Krankenhäuser von 2001 bis 2013 und Daten der DRG-Statistik von 2005 bis 2013. Er betrachtet die unter 3-Jährigen (Säuglinge und Kleinkinder), die 3- bis 6-Jährigen (Vorschulkinder), die 7- bis 13-Jährigen (Schulkinder) sowie die 14- bis 17-Jährigen (Jugendliche). Im Vordergrund stehen die Aufnahmeanlässe und Entlassungsgründe, die häufigsten Diagnosen sowie die im Krankenhaus vorgenommenen Operationen und Prozeduren.

Als häufigste Diagnosegruppen sind Verletzungen und Vergiftungen sowie Krankheiten des Atmungssystems bei Jungen weit häufiger als bei Mädchen (145.100 zu 102.500 beziehungsweise 140.900 zu 109.000 Behandlungsfälle). Jungen werden gut 1,4-mal häufiger operiert als Mädchen (387.500 versus 279.900 Maßnahmen). Die häufigste Operation (4-Steller, Altersgruppe 0–17 Jahre) war die Parazentese, gefolgt von der Adenotomie und Appendektomie. Der Anteil operierter Patientinnen und Patienten bei den stationär behandelten Kindern und Jugendlichen ist von 20,4 Prozent im Jahr 2005 auf 17,0 Prozent im Jahr 2013 zurückgegangen. Auf Basis einer Modellrechnung erfolgt ein Ausblick, wie die Entwicklung der Behandlungsfälle von Kindern und Jugendlichen bis zum Jahr 2020 und 2030 aussehen könnte.

Trends bei der Verordnung von Arzneimitteln bei Kindern und Jugendlichen

Thomas Michael Kapellen, Carsten Telschow und Anette Zawinell

Der Beitrag zeigt Besonderheiten der Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen und Veränderungen der letzten zehn Jahre. Als häufig verordnete Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen werden Antibiotika, Antiasthmatika, Schmerz und Fieber senkende Mittel, Sexualhormone und als Schwerpunkt Antidiabetika näher betrachtet. Insbesondere bei notwendiger Dauertherapie — wie bei der Anwendung von Sexualhormonen und der Diabetesmedikation — ist für Kinder und Jugendliche bei der Auswahl der Medikamente zu beachten, dass bei gleicher Wirkung das bestmögliche Sicherheitsprofil im Vordergrund steht und daher Arzneimittel mit Langzeitstudien und aussagefähigen Daten hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Sicherheit bevorzugt werden. Nach wie vor stehen nicht ausreichend zugelassene Arzneimittel für Kinder zur Verfügung, sodass viele Arzneimittel off-label bei Kindern angewendet werden.

Trends in der Heilmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen

Andrea Waltersbacher und Joachim Klose

Der Beitrag stellt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren mit Therapien der Ergotherapie, Sprachtherapie und Physiotherapie dar. Die Analysen basieren auf den Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten, die auf die bundesdeutsche Bevölkerung hochgerechnet werden. Rund 1,44 Millionen Kinder – das heißt mehr als jedes zehnte Kind – durchliefen 2013 zusammengenommen 4,4 Millionen Verordnungen mit 32,7 Millionen einzelnen Behandlungssitzungen. In den vergangenen Jahren hat eine deutliche Zunahme bei der Inanspruchnahme von Sprachtherapie von Kindern im Einschulungsalter zu einem erhöhten Interesse an den Heilmittelverordnungen für Kinder geführt. Die sprachtherapeutische Versorgung für sechsjährige Kinder war auch 2013 die mengenmäßig bedeutendste Maßnahme der gesamten Heilmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen: Knapp ein Fünftel (Jungen: 18,6 Prozent/Mädchen: 18,5 Prozent) aller sprachtherapeutischen Behandlungen für unter 18-Jährige gehen aufgrund von Sprachentwicklungsstörungen an Sechsjährige. In der Ergotherapie liegt der Therapiegipfel etwa zwei Jahre später. Insgesamt sind 3 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahre 2013 in ergotherapeutischer Behandlung, knapp 5 Prozent in sprachtherapeutischer und 4,6 Prozent in physiotherapeutischer Therapie. Jungen sind deutlich häufiger Heilmittelpatienten. Die hier vorliegenden Analysen umfassen auch die Indikationen, die zur Aufnahme einer Therapie geführt haben. Die Veränderungen in der Quantität der Versorgung in den Jahren seit 2006 werden ebenso dargestellt wie regionale Variationen der Behandlungsrate.

Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Trends in den Verordnungs- und Neuverordnungsraten und Charakterisierung der Empfänger

Sascha Abbas, Peter Ihle, Jürgen-Bernhard Adler, Susanne Engel, Christian Günster, Roland Linder, Gerd Lehmkuhl und Ingrid Schubert

Während die Verordnungsprävalenz von Antipsychotika von 2,3 pro 1.000 im Jahr 2004 auf 3,1 pro 1.000 Kinder und Jugendliche im Jahr 2012 zugenommen hat, ist die jährliche Neuverordnungsrate mit 1,1 Promille über die Jahre weitgehend konstant. Kinder und Jugendliche, denen erstmals ein Antipsychotikum verordnet wurde, erhielten zu einem Großteil bereits vorher andere Psychopharmaka, insbesondere aus dem Bereich der Stimulanzien und Antidepressiva. Die vorliegenden Daten zweier großer bundesweiter Krankenkassen geben Hinweise darauf, dass die Verordnungen nicht entsprechend den zugelassenen Indikationen erfolgen.

Administrative Prävalenz und medikamentöse Behandlung hyperkinetischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2006 bis 2013

Christiane Roick und Andrea Waltersbacher

Hyperkinetische Störungen (HKS, ICD-10 F90) gehören zu den häufigsten kodierten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Zu ihrer Prävalenz wurden in den letzten Jahren auf Basis von Routinedaten oder Bevölkerungsbefragungen mehrere Studien veröffentlicht, deren Ergebnisse sich aber teilweise deutlich unterscheiden. Der vorliegende Beitrag gibt anhand von AOK-Daten Aufschluss über die administrative HKS-Prävalenz in Deutschland im Jahr 2013, über die Entwicklung der Prävalenzraten seit 2006, die medikamentöse Behandlung der Erkrankung sowie über regionale Unterschiede in der Prävalenz und Medikation. Dabei werden erstmals für eine routinedatenbasierte Analyse auch Daten aus ambulanten Einrichtungen, die nicht nach EBM abrechnen, erfasst.

Unter Berücksichtigung dieser Institutionen ergibt sich für Kinder unter 18 Jahren im Jahr 2013 eine HKS-Prävalenz von 4,9 Prozent. Die HKS-Prävalenz steigt seit 2006 kontinuierlich an, die Kurve flacht jedoch nach 2008 zunehmend ab. Da Studien auf Basis standardisierter Diagnosekriterien gegen eine Zunahme der tatsächlichen Prävalenz der Erkrankung sprechen, ist zu vermuten, dass früher unterdiagnostizierte HKS heute besser erkannt werden und dass Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADS) in den letzten Jahren immer seltener der unspezifischen Sammeldiagnose ICD-10 F98.8 zugeordnet, sondern zunehmend als HKS (ICD-10 F90) kodiert werden.

2013 erhielten 40,2 Prozent aller Kinder zwischen 6 und 17 Jahren, bei denen eine HKS diagnostiziert wurde, mindestens eine Verordnung eines HKS-spezifischen Medikaments. Bei allen Kindern mit HKS, aber insbesondere bei Mädchen und jüngeren Schulkindern wurden 2013 seltener HKS-spezifische Medikamente angesetzt als 2006, aber wenn die Entscheidung zu einer Verordnung getroffen wurde, dann erfolgte die Medikamentengabe in den letzten Jahren langfristiger und/oder in höherer Dosis als früher.

In den neuen Bundesländern ist eine überdurchschnittliche HKS-Prävalenz, aber eine unterdurchschnittliche Verordnungsrate HKS-spezifischer Medikamente zu verzeichnen. In den drei Stadtstaaten und anderen großstädtischen Regionen liegen sowohl die administrative Prävalenz als auch die Verordnungsraten unter dem Bundesdurchschnitt.

Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland: Diagnoseprävalenz, Versorgung und zeitliche Trends

Christian Bachmann und Falk Hoffmann

Auf der Basis von AOK-Daten gibt der Beitrag einen Überblick über die Verbreitung von Autismus-Diagnosen und deren Behandlung. Zudem wird untersucht, wie stabil Autismus-Diagnosen in den Abrechnungsdaten dokumentiert sind. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 0 bis 24 Jahren fand sich zwischen den Jahren 2006 und 2012 eine kontinuierliche Zunahme der Diagnoseprävalenz von 0,22 Prozent auf 0,38 Prozent, wobei psychiatrische Komorbiditäten oft vorkamen (56,9 Prozent aller Patienten mit Autismus-Diagnose). Zur Behandlung wurden am häufigsten Psychopharmaka eingesetzt (34,2 Prozent aller Patienten), gefolgt von Ergotherapie (24,9 Prozent) und Logopädie (23,7 Prozent). Am häufigsten wurden Antipsychotika verordnet (14,5 Prozent aller ASS-Patienten; meistverordnete Substanz: Risperidon), knapp gefolgt von Antiepileptika (11,8 Prozent) und ADHS-Medikamenten (10,2 Prozent). Die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung wurde häufig nicht über einen Zeitraum von mehreren Jahren fortgeschrieben. Dies kann als Hinweis auf einen sehr großzügigen Umgang mit dieser Diagnose aufgefasst werden, der derzeit teilweise der Ruf einer „Modediagnose“ anhaftet.

Adipositas bei Kindern und Jugendlichen

Martin Wabitsch und Anja Moß

Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sind in Deutschland zahlenmäßig bedeutende Gesundheitsstörungen. Kinder verbringen immer mehr Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer und bewegen sich zu wenig. Sogenannte Kinderlebensmittel enthalten oft zu viel Fett und zu viel Zucker. Aus übergewichtigen Kindern werden übergewichtige Erwachsene mit hohem Risiko für das Auftreten von Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskulären, orthopädischen und anderen Erkrankungen. Kürzlich hat die „Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e. V. evidenz-basierte Therapieleitlinien veröffentlicht (www.a-g-a.de). Verhaltenstherapeutische Interventionen sind nur bei einer Minderheit hochmotivierter Familien mittelfristig erfolgreich. Die einzige Lösung scheint daher in der Verhältnis- und Primärprävention zu liegen. Notwendig ist eine konzertierte Zusammenarbeit verschiedener Akteure aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswesen mit dem Ziel, die Lebensbedingungen der Kinder in unserem Land zu verbessern und ihrer Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Trends, regionale Variabilität und Indikationsstellung von Tonsillektomien in Deutschland

Jochen Windfuhr und Bettina Gerste

Der Beitrag gibt einen Überblick über die zentralen Ergebnisse der KiGGS-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Aufbauend auf den Daten der Basiserhebung aus den Jahren 2003 bis 2006 und der ersten Folgeerhebung KiGGS Welle 1 aus den Jahren 2009 bis 2012 enthält er Aussagen zur körperlichen und psychischen Gesundheit (Infektionskrankheiten, chronische Krankheiten, Allergien, Übergewicht, Adipositas, Unfälle, ADHS, emotionale und Verhaltensprobleme), zum Gesundheitsverhalten (Ernährung, körperliche Aktivität, Tabak- und Alkoholkonsum) sowie zur Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen (Arztbesuche, U-Untersuchungen, Impfungen). Ferner wird die Bedeutung sozialer Determinanten (Familienform, Sozial- und Migrationsstatus der Familie) für die Gesundheit im Kindes- und Jugendalter thematisiert. Für Themengebiete, für die Daten aus zwei Erhebungswellen vorliegen, werden darüber hinaus Trends berichtet. Zu den positiven Entwicklungen zählt unter anderem, dass die Raucherquote bei den 11- bis 17-Jährigen in den letzten Jahren stark rückläufig ist und die U-Untersuchungen zur Früherkennung von Erkrankungen häufiger in Anspruch genommen wurden. Leicht zugenommen hat dagegen die Häufigkeit von Asthma bronchiale und Heuschnupfen.

Versorgungstrends, regionale Variation und Qualität der Versorgung bei Appendektomien

Udo Rolle und Matthias Maneck

Die Appendektomie gehört zu den 50 am häufigsten durchgeführten vollstationären Eingriffen in Deutschland. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Appendektomie sogar die häufigste abdominelle Notfallprozedur. Im ersten Teil dieses Beitrages werden bundesweite Fallzahlen von Patienten mit Appendektomie berichtet und hinsichtlich des Behandlungsanlasses, -verfahrens und -ortes untersucht. Alle Ergebnisse basieren auf Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten mit Appendektomie im Jahr 2012 (38.186 Patienten) und wurden auf die Bundesbevölkerung hochgerechnet. Die mittlere Behandlungsrate beträgt 14,7 Operationen pro 10.000 Personen, wobei die höchste Behandlungsrate, mit über 50 Eingriffen pro 10.000 Personen, in der Altersgruppe von 12 bis 17 Jahren vorliegt. Zusätzlich wird die Entwicklung der Behandlungsrate und des Operationsverfahrens über die Jahre 2006 bis 2012 untersucht. Die Behandlungsrate sank im angegebenen Zeitraum insgesamt um 11,6 Prozent. Bei Kindern unter 12 Jahre ist ein stärkerer Rückgang zu beobachten (21,0 Prozent–33,3 Prozent). In Hinblick auf das Operationsverfahren hat in den letzten sieben Jahren der Anteil an laparoskopische Eingriffen von 53,5 Prozent auf 81,6 Prozent stark zugenommen. Im zweiten Teil dieses Beitrags wird das Komplikationsrisiko bei Appendektomie untersucht. Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat im Rahmen des QSR-Verfahrens Indikatoren entwickelt, anhand derer die Ergebnisqualität bei Appendektomie in Hinblick auf ungeplante Folgeeingriffe, allgemeinchirurgische Komplikationen sowie Sterblichkeit abgebildet wird. Im Jahr 2012 betrug die Rate an ungeplanten Folgeeingriffen innerhalb von 90 Tagen 3,5 Prozent, die Rate an allgemeinchirurgischen Komplikationen innerhalb von 90 Tage 3,9 Prozent und die Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen 0,3 Prozent. Dabei sind in Hinblick auf das Operationsverfahren die Komplikationsraten bei offen chirurgischen Eingriffen deutlich höher als bei laparoskopisch durchgeführten Eingriffen (ungeplante Folgeeingriffe: 6,8 Prozent versus 2,6 Prozent; allgemeinchirurgische Komplikationen: 9,5 Prozent versus 2,5 Prozent; Sterblichkeit: 1,1 Prozent versus 0,1 Prozent).

Pädiatrische CT- und MRT-Untersuchungen in Deutschland: Zeitliche Trends der Versorgung 2006 bis 2012

Roman Pokora, Bettina Gerste, Gundula Staatz, Christian Günster und Maria Blettner

Die diagnostischen Vorteile einer Computertomographie (CT) für den Einzelnen sind enorm. Allerdings hat die dadurch verursachte Exposition gegenüber ionisierender Strahlung zu Bedenken geführt, inwieweit die Anwendung zu einem erhöhten Krebsrisiko beitragen kann. In Indikationslisten wird oftmals als Alternative die Magnetresonanztherapie (MRT) aufgeführt. In Deutschland gibt es bislang nur wenige systematische Untersuchungen zur Entwicklung der CT- und MRT-Nutzung bei jungen Menschen. Der Beitrag betrachtet zeitliche Trends in der Nutzung von CTs und MRTs bei AOK-Versicherten bis zum Alter von 24 Jahren und geht auch auf Geschlechtsunterschiede, Unterschiede in der ambulanten und stationären sowie in der regionalen Versorgung ein. Vor dem Hintergrund aktueller Studien zum Krebsrisiko nach CT-Untersuchung werden Indikationen von CT-Patienten und untersuchte Körperregionen von CT-Patienten für 2012 dargestellt und bewertet.

Prävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen

Ulla Walter und Sebastian Liersch

Dem im Kindes- und Jugendalter initialisierten Gesundheitsverhalten kommt eine hohe Bedeutung für die gesundheitliche Entwicklung im Lebensverlauf zu. Der Beitrag zeigt Ansätze und Strukturen sowie rechtliche Rahmenbedingungen der Prävention und Gesundheitsförderung (PGF) auf. Eine vertiefende Betrachtung der zentralen Handlungsfelder Bewegungsförderung, Tabakkonsum und Impfungen verdeutlicht die Public-Health-Relevanz, Strategien der PGF sowie die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen. Eine evidenzbasierte Prävention sowie eine angemessene Qualitätssicherung müssen die Grundlagen einer flächendeckenden Umsetzung von PGF-Maßnahmen bilden.

Entwicklungsförderung sozial benachteiligter Kinder am Beispiel einer Region

Gabriele Trost-Brinkhues, Thilo Koch und Gabriele Ellsäßer

Die Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen der StädteRegion Aachen zeigen seit Jahren, welcher Handlungsbedarf sozialräumlich, bildungs- und zielgruppenspezifisch bei Vorschulkindern besteht. Die Ergebnisse werden sowohl auf politischer Ebene als auch auf Fachebene genutzt, um Gesundheitsziele und Maßnahmen abzuleiten. Ein Schwerpunkt liegt auf der frühzeitigen Entwicklungsförderung von Kindern mit besonderen gesundheitlichen und psychosozialen Unterstützungsbedarfen. Im Rahmen eines mehrdimensionalen Ansatzes wird sozialräumlich vorgegangen, in strukturelle Angebote investiert, intersektoral vernetzt kooperiert und es werden gezielt Multiplikatoren fortgebildet.

Verfügbarkeit von evaluierten Präventions-programmen für Verhaltensprobleme von Kindern und Jugendlichen – die „Grüne Liste Prävention“

Frederick Groeger-Roth

Die „Grüne Liste Prävention“ wurde vom Landespräventionsrate Niedersachsen entwickelt, um einen Überblick über in Deutschland verfügbare evaluierte Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche zu geben. Der Beitrag beschreibt den Hintergrund und die Bewertungskriterien der Empfehlungsliste. Die aufgenommenen Programme werden im Beitrag entlang von Anwendungsbereichen wie Familie, Kindertagestätte, Schule und Nachbarschaft/Stadtteil beschrieben. Ein besonderer Fokus liegt auf den Bedingungen der praktischen Umsetzung von Präventionsprogrammen. Insbesondere die Gestaltung von Rahmenbedingungen auf der kommunalen Ebene wird diskutiert. Die Analyse des verfügbaren Programmangebotes in Deutschland ermöglicht Aussagen über spezifische Versorgungslücken mit überprüften Präventionsmaßnahmen.

Teil II Monitoring

Prävalenz und Inzidenz depressiver Erkrankungen in Deutschland im Jahr 2012 – Eine Analyse auf Basis der in Routinedaten dokumentierten Depressionsdiagnosen

Bettina Gerste und Christiane Roick

Aus den anonymisierten Abrechnungsdaten aller AOK-Versicherten wurden die administrativen Prävalenz- und Inzidenzraten unipolarer Depressionen bzw. depressiver Episoden für 2010 und 2012 ermittelt und alters- und geschlechtsstandardisiert auf die Wohnbevölkerung von Deutschland hochgerechnet. Die Inzidenzrate depressiver Erkrankungen lag 2012 bei 1,14 Prozent und war damit im Vergleich zu 2010 (1,16 Prozent) weitgehend unverändert. Die Prävalenz unipolarer Depressionen ist seit 2010 weiter gestiegen und erreichte im Jahr 2012 einen Wert von 12,0 Prozent. Die stärkste Zunahme der administrativen Prävalenz und Inzidenz fand sich bei den leichten Depressionen. Unipolare Depressionen wurden bei Frauen weiterhin etwa doppelt so häufig wie bei Männern kodiert, aber im Zeitverlauf (2010 bis 2012) nahm die Depressionsprävalenz bei den Männern stärker zu als bei den Frauen. Die Ergebnisse unterstreichen, dass die Awareness von Ärzten und Patienten für depressive Symptome weiter gewachsen ist und depressive Verstimmungen nun auch bei Männern zunehmend besser diagnostiziert werden.

Der Anteil unspezifischer Depressionsdiagnosen ging von 2010 bis 2012 leicht zurück. Das deutet darauf hin, dass sich Ärzte und Psychotherapeuten zunehmend um eine spezifische Kodierung der Depressionsschwere bemüht haben. Unter den spezifischen Depressionsdiagnosen wurden mittelgradige Episoden am häufigsten dokumentiert, gefolgt von schweren Episoden. Die Depressionsprävalenz war in den neuen Bundesländern niedriger als in den alten Bundesländern und den Stadtstaaten. Künftige Studien sollten genauer analysieren, warum die Depressionsprävalenz in routinedatenbasierten Analysen mittlerweile deutlich höher ist als die in repräsentativen Bevölkerungsbefragungen mit standardisierten Diagnosekriterien ermittelte Prävalenz.

Daten-Monitoring Depression zur psycho- und pharmakotherapeutischen Inanspruchnahme von Patienten mit Depression

Antje Freytag, Markus Kösters, Max Schmauß, Thomas Becker und Jochen Gensichen

Der Beitrag untersucht die Inanspruchnahme von Psycho- und Pharmakotherapie durch Patienten mit einer Erstmanifestation einer depressiven Episode. Dabei orientieren sich die Autoren an den QiSA-Qualitätsindikatoren für die ambulante Versorgung für Patienten mit Depression und befassen sich vor allem mit der Frage, von wem und mit welchen therapeutischen Angeboten Patienten innerhalb von zwei Jahren nach einer inzident dokumentierten Depression versorgt wurden. Dazu wurden die Routineabrechnungsdaten von AOK-Versicherten analysiert, die im Jahr 2011 eine neu erkannte und dokumentierte Depressionsdiagnose erhielten.

Der Großteil der AOK-versicherten Patienten mit Depression wurde ambulant versorgt, vorwiegend durch Hausärzte. Etwa ein Drittel der Patienten mit schwerer Depression wird ausschließlich hausärztlich versorgt. Gleichzeitig wurden 20 Prozent der Patienten mit leichter oder unspezifischer Depression ausschließlich psychiatrisch beziehungsweise psychotherapeutisch („fachärztlich“) versorgt. Etwa die Hälfte der Patienten nahm innerhalb von zwei Jahren eine antidepressive Pharmakotherapie in Anspruch (QiSA-Indikator 5), in der Gruppe der Patienten mit schwerer Depression lag dieser Anteil bei 70 Prozent. Von den Patienten mit leichten Depressionen wurden 40 Prozent pharmakologisch behandelt, obwohl die Leitlinienempfehlung vorsieht, Antidepressiva nicht generell zur Erstbehandlung bei leichten depressiven Episoden einzusetzen. Die Dauer der pharmakologischen Therapie erschien im Durchschnitt über alle Schweregrade lediglich bei 25 Prozent der Patienten ausreichend lang (QiSA-Indikator 6). Hausärztliche betreute Patienten erreichten dies seltener als fachärztlich betreute. Bei einer gemeinsamen Behandlung durch Haus- und Fachärzte wurden jedoch 52 Prozent ausreichend lange behandelt, insbesondere Patienten mit schwerer Depression (59 Prozent).

Eine sogenannte „Richtlinienpsychotherapie“ nahmen neun Prozent der Patienten in Anspruch, 27 Prozent nicht antragspflichtige, aber sogenannte „fachgebundene“ psychotherapeutische Gesprächsleistungen und bei 74 Prozent wurde mindestens eine Leistung aus der sogenannten „psychosomatischen Grundversorgung“ abgerechnet (QiSA-Indikator 7). Lediglich elf Prozent der ambulant versorgten Patienten mit schwerer Depression erhielten die empfohlene Kombinationstherapie aus Psychotherapie und einem Antidepressivum (QiSA-Indikator 8). Gänzlich ohne spezifische Therapie waren sieben Prozent der Patienten mit schwerer Depression. Die Bestimmung der Anteile nicht depressionsfachspezifisch versorgter (hausärztlich betreuter) Patienten mit anhaltender Depression (QiSA-Indikator 8) hängt stark vom Quantifizierungsansatz für anhaltende/chronische Depression auf der Basis von Routinedaten ab. Der Einsatz von Anxiolytika, Hypnotika und Sedativa ist bei Patienten mit Depression weit verbreitet (QiSA-Indikator 10).

 

Prostataoperationen

Hanna Leicht, Claus Fahlenbrach, Christian Gilfrich, Elke Jeschke, Gralf Popken, Jens-Uwe Stolzenburg, Lothar Weißbach, Christoph von Zastrow und Christian Günster

Die häufigsten Prostataoperationen sind Eingriffe zur Behandlung des Benignen Prostatasyndroms (BPS), gefolgt von der Radikalen Prostatektomie (RPE) bei Prostatakarzinom. Das etablierte Standardverfahren zur operativen Therapie bei BPS ist die transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P). Daneben sind in den letzten Jahren verschiedene Alternativen entwickelt worden, insbesondere laserbasierte Verfahren. Beim Prostatakarzinom ist die offen chirurgische RPE die in Deutschland am stärksten verbreitete Operationsmethode. Auch hier haben sich jedoch Alternativen in Form der laparoskopischen sowie in den letzten Jahren auch der roboterassistierten RPE etabliert. Im ersten Teil dieses Beitrags werden bundesweite Fallzahlen für die verschiedenen Operationsverfahren bei beiden Krankheitsbildern für die Jahren 2008 bis 2012 berichtet, die mit Altersadjustierung auf der Basis von AOK-Versichertendaten geschätzt wurden. An diesen Zahlen zeigt sich vor allem bei der RPE eine starke Zunahme der minimalinvasiven, roboterassistierten Chirurgie in den letzten Jahren. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat im Rahmen des QSR-Verfahrens (Qualitätssicherung mit Routinedaten) Indikatoren für die Ergebnisqualität in beiden Leistungsbereichen entwickelt, mit denen Komplikationen des jeweiligen Eingriffs in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr nach der Operation abgebildet werden können. Im Jahr 2012 betrug die Gesamtkomplikationsrate bei Eingriffen bei BPS 19,36 Prozent und bei RPE 21,17 Prozent. Komplikationen der Operation traten bei BPS in mehr als 40 Prozent der Fälle und bei RPE in gut einem Viertel der Fälle erst im Nachbeobachtungszeitraum auf. Diese Anteile unterstreichen das Potenzial von Routinedaten für die Beurteilung der Qualität von Prostataoperationen.

TEIL III Daten und Analysen

Diagnosehäufigkeit und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen

Bettina Gerste, Dagmar Drogan und Christian Günster

Dieser deskriptiv ausgerichtete Beitrag gibt einen Überblick über die Diagnosehäufigkeit von Erkrankungen im Jahr 2012. Darüber hinaus wird die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in den Bereichen stationäre Versorgung, ambulante ärztliche Versorgung, Arzneimittel- und Heilmittelversorgung der Jahre 2006 bis 2012 dargestellt, um zeitliche Trends in den vier ausgabenwirksamsten Leistungssektoren des Gesundheitswesens aufzuzeigen. Die in Teil A beschriebenen methodischen Details – Datenbasis, Alters- und Geschlechtsstandardisierung, Verfahren zur Diagnosevalidierung, Berechnung von Behandlungsprävalenzen und Inzidenzen – gelten dabei sowohl für diesen Beitrag als auch für die empirischen Beiträge des aktuellen Versorgungs-Reports. Die vorliegenden Auswertungen basieren auf den Routinedaten von mehr als 24 Millionen AOK-Versicherten, die ein gutes Drittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und rund 31 Prozent der deutschen Bevölkerung repräsentieren.  Die Leistungsdaten der AOK-Versicherten stellen somit eine äußerst umfangreiche Informationsbasis dar, die für intersektorale Versorgungsanalysen und Gesundheitsberichterstattung nutzbar ist und weit über Primärerhebungen wie zum Beispiel den Mikrozensus oder den Bundesgesundheits-Survey hinausgeht.

Die Nutzung von Routinedaten im Gesundheitswesen hat eine lange Tradition. Neben ersten regionalen Analysen in den 1980er Jahren sind beispielsweise die Versichertenstichprobe der AOK Hessen/KV Hessen, die Fallzahlenanalysen der AOK Sachsen-Anhalt sowie die Berichterstattung verschiedener Krankenkassen zu nennen (Bitzer et al. 2014; Grobe 2014; Grobe et al. 2014; Schubert et al. 2008; Swart et al. 2008). Zunehmend gewinnen Routinedaten auch für die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen an Bedeutung (Klauber et al. 2014). Routinedaten sind nicht nur schnell und mit geringem Aufwand verfügbar, sie liegen auch für alle Versicherten vollständig vor, da sie notwendiger Bestandteil der Abrechnung von Leistungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern sind (Swart et al. 2014). Damit heben sich Routinedaten von Survey-basierten Primärerhebungen ab, die häufig mit Non-Response und Ausfallraten konfrontiert sind. Als Beispiel sei die Kiggs-Studie genannt, in deren Basiserhebung eine Response von 66,6 Prozent erreicht wurde (siehe Kapitel 1 in diesem Band).

Gleichwohl darf der Entstehungskontext der Routinedaten nicht übersehen werden. Routinedaten von gesetzlichen Krankenversicherungen erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität (Hoffmann und Icks 2012; Jaunzeme et al. 2013) und die Kodierqualität der für die Versorgungsforschung besonders interessierenden Diagnosedaten variiert (Gerste und Gutschmidt 2006; Giersiepen et al. 2007; IGES Institut 2012; Klaus et al. 2005; Ozegwoski 2012). Im stationären Bereich wurden mit der Einführung der diagnose-orientierten Fallpauschalen (DRGs) vielfältige Maßnahmen ergriffen, um die Vollständigkeit und Qualität der Diagnosestellungen zu verbessern. Zu nennen sind hierbei Kodierrichtlinien, Diagnoseprüfung durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen und oftmals eigens geschultes Kodierpersonal in den Kliniken. Inzwischen basieren weite Teile der amtlichen Gesundheitsberichterstattung für den stationären Sektor auf Routinedaten (Statistisches Bundesamt 2011a; 2011b). Für den ambulanten Bereich steht dieser Prozess wieder am Anfang, da die Einführung ambulanter Kodierrichtlinien (AKR) zum 01. Juli 2011 ausgesetzt wurde. Nach dem Versorgungsstrukturgesetz (VStG) entfiel die verpflichtende Anwendung der AKR. Dennoch ist die Bedeutung der Diagnosekodierung durch die Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs und der an die Morbiditätsentwicklung geknüpften Entwicklung ärztlicher Honorare auch im ambulanten Sektor gestiegen.